Schwyz
Kritik
Schauspiel wie Gottesdienst
In Brigitte Grothums Inszenierung ist in Schwyz Hofmannsthals «Jedermann» als Freilichtspiel zu sehen
3000 Personen fassen die Tribünen vor dem Ital-Reding Haus, das als Kulisse für eine eindringlich- feierliche Aufführung des frommen Spiels dient.
Die Stimme Gottes kommt direkt aus dem Jenseits und gehört dem 1995 verstorbenen Erich Schellow. Die Berliner Theaterlegende,. die über die bombastische Verstärkeranlage ebenso präsent ist wir die übrigen Protagonisten von Brigitte Grothums „Jedermann“-Inszenierung, kann mit dem Spektakel zufrieden sein. Was da in geschickter Nutzung jener Innerschweizer urbanen Theatersehnsucht, die 2004 schon der Weimarer „Teil“ auf dem Rütli offenbarte, aus Berlin mitten ins Dorfbild von Schwyz versetzt wurde, ist gutes, vitales, wenn auch durch und durch traditionelles Schauspiel vom Besten.
Hervorragende Besetzung

Jedermann liebt Buhlschaft: George Preusse und Jenny Eivers-Elbertzhagen geben ein schönes Paar ab.
Da ist mit Horst Pinnow und Samuel Sommer als dünnem und dickem Vetter das Fach Humor ebenso herzhaft vertreten wie die religiöse Inbrunst in der von der Regisseurin selbst gespielten Glaubens-Allegorie oder die zynisch-verführerische Macht des Geldes in dem von Ilja Richter wunderbar harlekinmässig dargestellten Mammon. Peter Sattmann ist als „Tod“ ein echter Schocker, wenn sein Totenkopf zwischen den Partygästen auftaucht oder wenn er, durch die Lautsprecher ins Dämonische verzerrt, nach „Jedermaaaaann“ ruft. Georg Preusse wiederum versteht es, dem stark Stilisierenden des Textes trotz allem Tiefe und Persönlichkeit zu vermitteln und bildet mit der eher durch SexAppeal denn durch schauspielerische Leistungen brillierenden Jenny Elvers-Elbertzhagen ein wirkliches Traumpaar, dessen Glück mitten im schönsten Oberschwang zerstört wird.
Überhaupt ist das Ensemble bis in die kleinste Nebenrolle harmonisch aufeinander eingespielt und integriert ohne Probleme auch die Zuzüger, die dem Schwyzer Gastspiel den schweizerischen Anstrich zu geben haben: Walo Lüönd als ergreifend bemitleidenswerter armer Nachbar und Stefanie Glaser als Jedermanns am Ende in ihrer gläubigen Zuversicht triumphierende Mutter.
Religiöser Touch
Das Spiel wird auf der Orgel und von einem Bläserensemble mit Musik von Bach unterlegt, die, insbesondere, wenn die Orgel über die Stereoanlage voll „aufdreht“, jenes Feierlich-Religiöse unterstreicht, das die rituelle Choreografie, aber auch die vielfach getragen-feierliche Art der Rezitation im Verlauf der 100 Minuten Spielzeit immer eindeutiger evoziert. Bis man nach der Bekehrung Jedermanns, dem hymnischen Vaterunser und dem frommen Hinscheiden des Geretteten mit dem hell strahlenden Glaubensengel über der Bühne überhaupt nicht mehr weiss, ob man nun an einem Gottesdienst oder einem Theaterabend teilgenommen hat.
Ungenutzte Kulisse
Etwas aber lässt sich mit Sicherheit sagen: So wundervoll eindrücklich die Aufführung auch ist, was geboten wird, ist nicht Umsetzung von Theater unter aktiver Verwendung einer Ortschaft, wie das Louis Naef oder das Landschaftstheater Ballenberg jeweils tun.
Was da geboten wird, ist eine gute, professionelle Aufführung eines der grossen Stücke der Weltliteratur vor der Kulisse des Schwyzer Ital-Reding-Hauses, das, obwohl der beleuchtete grosse Mythen wie der Stern von Bethlehem über allem schwebt, so leblos und ungenutzt hinter der Inszenierung dahindämmert. dass es genauso gut die (gemalte) Kulisse in einem Stadttheater sein könnte.
(CHARLES LINSMAYER)
